SK 2007 309 - Mischrechnungspraxis bei Widerruf (Leitentscheid)
Die 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern,
unter Mitwirkung von Oberrichterin Schnell (Präsidentin i.V.), Obergerichtssuppleant Bähler und Oberrichter Zihlmann sowie Kammerschreiberin Bochsler
hat in ihrer Sitzung vom 4. Oktober 2007
in der Strafsache gegen
K.,
amtlich vertreten durch Fürsprecher Z.
1.
wegen Widerhandlungen gegen BetmG und SVG sowie Widerrufs
Regeste:
Bei der Beurteilung eines Probezeitdelikts und der Frage eine Widerrufs ist die Mischrechnungspraxis auch nach Einführung des neuen AT StGB zu berücksichtigen (siehe auch SK-Nr. 2007/130). Auch einer unbedingten Geldstrafe kann eine (gewisse) Warnwirkung zukommen. Soll diese Mischrechnungspraxis angewandt werden, so soll nach Ansicht der 1. Strafkammer keine teilbedingte Gesamtstrafe ausgefällt werden. Vielmehr soll das Widerrufsverfahren getrennt durchgeführt werden und es ist entweder:
• eine unbedingte Geld- (oder Freiheits-)strafe für die neuen Delikte mit Nichtwiderruf der Widerrufsstrafe allenfalls mit Verlängerung der Probezeit einer Verwarnung auszusprechen oder
• eine bedingte Geld- (oder Freiheits-)strafe für die neuen Delikte mit Widerruf der Widerrufsstrafe allenfalls mit Konvertierung der alten Strafart in eine neue Strafart auszusprechen.
Damit eine nicht ungünstige Prognose für das Probezeitdelikt gestellt werden kann, kann beim Widerruf auf eine Änderung der Strafart verzichtet werden, d.h. der bedingte Vollzug einer Gefängnisstrafe kann widerrufen werden, ohne die Gefängnisstrafe in eine Geldstrafe zu ändern (Ziff. 1 Abs. 1 der Schlussbestimmungen StGB ist eine Kann-Vorschrift). Im Weiteren kann - um dem Verschulden des Angeschuldigten Rechnung zu tragen für das Probezeitdelikt eine teilbedingte Strafe ausgefällt werden.
Weiter hat die Kammer festgehalten, dass die Asperation keinen Grund für das Aussprechen einer Gesamtstrafe darstellt.
Redaktionelle Vorbemerkungen:
Die Vorinstanz hat K. wegen SVGund BetmG-Widerhandlung schuldig erklärt, den bedingten Vollzug einer früheren Strafe mit Änderung der Strafart widerrufen und eine unbedingte Gesamtstrafe von 180 Tagessätzen Geldstrafe à Fr. 110.00, ausmachend Fr. 19'800.00 ausgesprochen. Die Verteidigung beschränkte die Appellation auf die Strafzumessung, inkl. der Frage des Widerrufs bzw. der Ausfällung einer Gesamtstrafe.
Die Kammer war entgegen der Vorinstanz - der Ansicht, dass in casu die Mischrechnungspraxis zur Anwendung gelangen muss. Sie widerrief deshalb den bedingt gewährten Vollzug der 10-tägigen Gefängnisstrafe ohne Änderung der Strafart, sprach hingegen für die Probezeitdelikte eine teilbedingte Geldstrafe von 169 Tagen à Fr. 90.00 aus, wovon 69 Tagessätze unbedingt zu bezahlen sind und 100 Tagessätze bedingt ausgesprochen wurden, mit einer Probezeit von 3 Jahren.
Auszug aus den Erwägungen:
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II. Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Würdigung
Aufgrund der Appellationsbeschränkung ist der Schuldspruch wegen Widerhandlungen gegen das SVG sowie das BetmG in Rechtskraft erwachsen. Es kann deshalb auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (pag. 201-207).
Kurz zusammengefasst geht es um folgende Sachverhalte:
1. K. betrieb während mehrerer Monate vor dem 22. September 2006 in Thun und Thierachern eine Indoor-Hanfzuchtanlage mit ca. 100 Hanfpflanzen. Zudem wurde ihm Besitz und Konsum von Hanfblüten am 22. September 2006 vorgeworfen.
2. K. wurde am 27. April 2007 zweimal positiv auf Alkohol getestet, als er mit seinem Wagen unterwegs war. Der erste Atemlufttest um ca. 03.40 Uhr ergab ein Resultat von 1,87 Gewichtspromillen, der zweite Atemlufttest um ca. 8.00 Uhr ein solches von 1,13 Gewichtspromillen. Der Angeschuldigte verweigerte zweimal, die Werte der Alkoholkonzentration in seinem Körper mittels Blutprobe zu sichern. Nach dem ersten Vorfall wurde dem Angeschuldigten der Führerausweis entzogen, wobei ihm das entsprechende Polizeiformular ausgehändigt und erläutert worden war. Trotz Führerausweisentzug lenkte K. wenige Stunden später erneut seinen Wagen. Im Weiteren beschimpfte der Angeschuldigte den Polizisten B. und griff ihm während der Tatbestandsaufnahme ins Gesicht, was ein längeres Nasenbluten bei B. zur Folge hatte.
III. Strafzumessung inkl. Frage des Widerrufs und der Gesamtstrafe
1. Vorbemerkung
Die Kammer verwirft in casu das Aussprechen einer Gesamtstrafe, worauf später eingehend eingegangen wird (siehe dazu: III, Ziff. 6.4).
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5. Beurteilung durch die Kammer
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Die erstinstanzliche Strafzumessung ist nicht zu beanstanden, hat sie doch alle wesentlichen Tatund Täterkomponenten berücksichtigt und hat sie auch keine Strafzumessungsfaktoren falsch gewichtet. Ebenso wenig ist die Strafzumessung im kantonalen Quervergleich deutlich zu streng ausgefallen. Wesentliche, die Strafzumessung beeinflussende Änderungen seit dem erstinstanzlichen Urteil sind ebenfalls keine eingetreten.
Die von der Vorinstanz ausgefällte Gesamtstrafe von 180 Tagessätzen Geldstrafe umfasste auch die 10 Tage Gefängnis der widerrufenen altrechtlichen Strafe, die gemäss Art. 46 StGB in 10 Tagessätze Geldstrafe umgewandelt wurden. Da, wie weiter unten ausgeführt wird, die Kammer keine Gesamtstrafe aussprechen wird, sind 10 Tagessätze von den von der Vorinstanz ausgesprochenen 180 Tagessätzen abzuziehen.
Im Weiteren ist anzumerken, dass der Betäubungsmittelkonsum nicht mit einer Geldstrafe geahndet werden darf, handelt es sich dabei doch um eine Übertretung, die neurechtlich nur noch mit Busse bedroht ist (Art. 19a Ziff. 1 BetmG). Dies wiederum bedeutet, dass eine Übertretung anders als bei Art. 68 Ziff. 1 aStGB nicht mehr der Strafschärfung von Art. 49 StGB unterliegt. Bei Bussen für zusätzlich zu Vergehen und Verbrechen begangene Übertretungen handelt es gerade nicht um gleichartige Strafen i.S.v. Art. 49 StGB. Damit sind Bussen für Übertretungen immer zusätzlich auszusprechen (Hug Markus, Schweizerisches Strafgesetzbuch, 17. Auflage, Zürich 2006, S. 106; sowie Hansjakob / Schmitt / Sollberger, Kommentierte Textausgabe zum revidierten Strafrecht, 2. Auflage, S. 46). Damit ist für die Konsumwiderhandlung eine Busse auszusprechen. K. wurde rechtskräftig wegen Besitzes und Konsums von Hanfblüten begangen am 22. September 2006 in Thun und anderswo verurteilt. In den Erwägungen wird hingegen davon ausgegangen, dass K. zwar selten, aber doch mehrfach Marihuana konsumiert habe. Von dem kann die Kammer jedoch nicht ausgehen, lautet das Urteil doch nur auf die Konsumwiderhandlung begangen am 22. September 2006, was nach den Richtlinien des VBR eine Busse von Fr. 100.00 mit einer Ersatzfreiheitsstrafe von 1 Tag bei schuldhaftem Nichtbezahlens nach sich zieht.
Vorliegend gilt das Verschlechterungsverbot nach Art. 358 StrV, weshalb eine zusätzliche Busse nur bei einer Reduktion der Anzahl Tagessätze für die Vergehen ausgesprochen werden darf. Aus diesem Grunde sind die Tagessätze für die Vergehen um einen Tagessatz zu reduzieren.
Folglich ist K. im Hauptverfahren eine Strafe von 169 Tagessätzen Geldstrafe auszusprechen.
Das Gericht setzt die Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familienund Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum fest (Art. 34 Abs. 2 StGB). Das Gesetz sagt nicht, welche Umstände das Gericht wie zu gewichten hat. Der Angeschuldigte reichte für die Monate Januar bis August 2007 Lohnabrechnungen ein. Von diesen ist unabhängig davon auszugehen, ob K. seit September 2007 beim RAV angemeldet ist und in Zukunft allenfalls weniger verdienen wird, als bisher. Im Zeitpunkt des Urteils liegen dem Gericht gerade noch keine RAV-Abrechnungen vor, sodass eben auf die Lohnabrechnungen der letzten Monate abgestellt werden muss. Da der Angeschuldigte im August offensichtlich noch Ferien bezog, ist dieser Monat bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen.
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Die Kammer geht gestützt auf diese Berechnung von einem durchschnittlichen Monatseinkommen von Fr. 3'600.00 aus. Davon abzuziehen ist ein Pauschalabzug für Krankenkasse und Steuern. Der Abzug, welcher sich je nach Einkommen zwischen 20 - 30% bewegt, wird vorliegend auf 25% festgesetzt. Es ist dem Verteidiger in diesem Punkt nicht zu folgen. Bei der Berechnung der Tagessatzhöhe handelt es sich nicht um eine so detaillierte Berechnung wie die des Existenzminimums, wo die individuellen Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden. Vielmehr ist an der bisherigen Praxis des Kantons Bern, lediglich einen Pauschalabzug zu gewähren, festzuhalten. Der höchste Abzug von 30% ist dabei für die hohen Einkommen vorgesehen. Weitere Abzüge sind dem Angeschuldigten in casu nicht zu gewähren, so dass der Tagessatz auf eine Höhe von Fr. 90.00 festgesetzt wird.
Folglich wird der Angeschuldigte zu einer Geldstrafe von 169 Tagessätzen à Fr. 90.00, ausmachend Fr. 15'210.00, verurteilt.
6. Bedingter Strafvollzug, Widerruf und Frage der Gesamtsstrafe
6.1. ( )
6.2. Strafrechtliche Ausgangslage
Am 20. August 2003 wurde der Angeschuldigte zu einer Busse von Fr. 1'200.00 wegen grober Verkehrsregelverletzung und einer VTS-Übertretung verurteilt. Knapp zwei Jahre später, am 20. April 2005, wurde K. durch die Untersuchungsrichterin 2 des Untersuchungsrichteramtes IV Berner Oberland zu 10 Tagen Gefängnis bedingt auf 2 Jahre und einer Busse von Fr. 1’400.00 wegen einfacher Verkehrsregelverletzung, Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahruntüchtigkeit, pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall und wegen einer Übertretung gegen das BetmG verurteilt. Danach wurde K. erneut straffällig, wobei die BetmG-Widerhandlungen innerhalb der Probezeit stattfanden, die restlichen Straftaten, d.h. die SVG-Widerhandlungen, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie Beschimpfung, jedoch nach Ablauf der Probezeit, aber während hängigem Verfahren erfolgten.
Die Kammer ist bei dieser Ausgangslage der Ansicht, dass altrechtlich die so genannte Mischrechnungspraxis, die ja auch neurechtlich nach wie vor zu berücksichtigen ist, zur Anwendung gekommen wäre.
6.3. Mischrechnungspraxis
Wie bereits im Entscheid der 1. Strafkammer vom 26. Juli 2007 (SK-Nr. 07/130) begründet, ist auch unter neuem Recht bei der Frage des Widerrufs die mögliche Warnwirkung der neuen zu vollziehenden Strafe mit zu berücksichtigen und zwar auch im Zusammenhang mit Geldstrafen. Zwar lässt sich wie im erwähnten Entscheid ausgeführt - die Auswirkung der Verpflichtung zur Bezahlung einer Geldstrafe auf den Betroffenen naturgemäss nicht mit der „Schockund Warnwirkung“ des Vollzugs einer kurzen Freiheitsstrafe vergleichen, doch kann unter Umständen auch einer unbedingten Geldstrafe eine gewisse Warnwirkung zukommen. Deshalb ist auch im Bereich einer Geldstrafe erforderlich, die zu erwartende Warnwirkung des Vollzugs der neuen bzw. der zu widerrufenden Strafe mit zu berücksichtigen.
6.4. Frage der teilbedingten Gesamtstrafe
Es stellt sich damit die Frage, ob der Mischrechnungspraxis durch das Aussprechen einer teilbedingten Gesamtstrafe Rechnung getragen werden kann und darf.
Gemäss Art. 43 Abs. 1 StGB kann das Gericht den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren nur teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen. Damit eine teilbedingte Strafe ausgefällt werden kann, müssen die Voraussetzungen gemäss Art. 42 StGB ebenfalls gegeben sein, d.h. die Voraussetzungen für die bedingte Strafe werden auf die teilbedingte Strafe übertragen (vgl. 3. StrK vom 12. Januar 2007, Nr. 2006/379 und Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2. Auflage, § 5 N 50). Materielle Voraussetzung für einen bedingten Strafvollzug ist damit das Fehlen einer ungünstigen Legalprognose. Bei der Prognosestellung sind die Tatumstände, das Vorleben, der Leumund sowie alle weiteren Tatsachen, die gültige Schlüsse auf das Leben des Täters und die Aussichten seiner Bewährung zulassen, zu berücksichtigen (vgl. Donatsch (Hrsg.), Kommentar Schweizerisches Strafgesetzbuch, zu Art. 42 Abs. 1 StGB). Dass man die Prognose als Voraussetzung ersatzlos durch das Verschulden hätte austauschen wollen, ergibt sich aus den zugänglichen Materialien nicht. Das Verschuldenselement ist damit bloss eine entsprechende Ergänzung zum Vorbestand einer nicht ungünstigen Prognose (vgl. dazu amtl. Bull SR 14.12.1999, S. 23/24 und amtl. Bull SR, 19.092001, S. 6). Ohne das Vorliegen der entsprechenden Prognose, der straffreien Zeit und der zumutbaren Schadensbehebung kann es somit keine teilbedingten Strafen geben, und die Voraussetzung des besonderen Verschuldens wirkt erst im Nachhinein als einschränkendes, begrenzendes Element. Es ist damit auch keine Zwitterprognose für die teilbedingte Strafe zwischen bedingt und unbedingt erforderlich, genauso wenig wie eine noch unmöglichere Zwitterprognose zwischen aufzuschiebendem und nicht aufzuschiebendem Teil der Strafe. Bei der teilbedingten Strafe ist mithin eine vollziehbare Strafe zur Abhaltung des Täters vor weiteren Verbrechen Vergehen zwar nicht erforderlich, doch würde eine vollständig bedingte Strafe aus der Sicht des Gesetzgebers dem Verschulden des Täters nicht gerecht (Greiner, bedingte und teilbedingte Strafen, Strafzumessung, in: zur Revision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafrechts und zum neuen materiellen Jugendstrafrecht, Hrsg. Annemarie Hubschmid und Jürg Sollberger, Bern 2004, S. 87 ff.). Der Teilvollzug ist als Ausnahme von der Regel des bedingten Vollzugs, bzw. des vollen Aufschubs, zu sehen (vgl. Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2. Auflage, § 5 N 50) und nicht als Ausnahme von der Regel des unbedingten Vollzugs.
Folgt man dem konsequent, hat die Mischrechnungspraxis in einer teilbedingten Strafe keinen Platz. Bei der Mischrechnung geht es gerade nicht darum, den grundsätzlich möglichen Vollbedingten wegen der retrospektiven Verschuldenskorrektur auf einen Teilbedingten zu reduzieren. Trotzdem stellt sich die Frage, ob aufgrund des Umstandes, dass die alte Mischrechnungspraxis auch im neuen Recht Platz haben muss, es deshalb zulässig ist, quasi eine neue Konstellations-Kategorie zu schaffen. Dagegen sprechen mehrere Gründe:
• Der Mischrechnungs-Teilbedingte ist dogmatisch schwer begründbar, verträgt er sich doch nicht damit, dass der unbedingte Teil einer Strafe eine nachträgliche Verschuldenskorrektur bei ansonsten günstiger Prognose ist.
• Die Mischrechnungspraxis lässt sich auch ohne Rückgriff auf den Teilbedingten problemlos verwirklichen, nämlich eben entweder a) mit bedingter teilbedingter Strafe für die neuen Delikte und Widerruf b) mit Nichtwiderruf und unbedingter neuer Strafe.
• In der Praxis der ersten Instanz wird teilweise immer noch davon ausgegangen, dass bei einer Gesamtstrafe zu asperieren ist, dass also der Betroffene günstiger wegkommen muss, als bei einer getrennten Beurteilung von Hauptsstrafe und Widerrufsstrafe. Die Strafkammern haben dem übereinstimmend widersprochen (vgl. z.B. SK 2007/200). Eine derartige Asperation ist nicht gerechtfertigt, weil es bei einer Gesamtstrafe nach Art. 46 Abs. 1 i.V.m Art. 49 StGB nicht darum gehen kann, einen Angeschuldigten, der eine Vorstrafe mit bedingter Freiheitsstrafe hat und der dann in der Probezeit erneut delinquiert, mit einer tieferen Strafdauer als der Summe der schuldangemessenen Strafe für die neuen Delikte und der widerrufenen (rechtskräftigen!) Strafe zu belohnen. Vielmehr soll die Möglichkeit der Gesamtstrafe in der Konstellation einer neuen Strafe in Kombination mit einer widerrufenen Strafe sicherstellen, dass nach Änderung der Strafart bei der widerrufenen Strafe eine einheitliche Strafart festgesetzt werden kann. Die Asperation ist mit anderen Worten gerade kein Grund für das Aussprechen einer Gesamtstrafe.
• Ebenso wenig bedarf es für das Ändern der Strafart bei der Widerrufsstrafe das Aussprechen einer Gesamtstrafe. Wie die 2. Strafkammer im Fall SK 2006/467 und 468 entschied, kann die Strafart bei einer widerrufenen Strafe auch geändert werden, ohne dass diese Strafe einer Gesamtstrafe zugeführt werden muss. Die 2. Strafkammer hielt zu Recht fest, dass die Formulierung von Ziff. 1 Abs. 1 der Schlussbestimmungen als Hinweis dafür zu verstehen ist, dass übergangsrechtlich bei Widerruf des bedingten Vollzuges einer altrechtlichen Gefängnisstrafe eine Änderung der Strafart auch ohne Aussprechung einer Gesamtstrafe möglich sein soll. Wenn es dem Gesetzgeber einzig darum gegangen wäre, Art. 46 StGB auch für altrechtliche Widerrufsverfahren als anwendbar zu erklären, hätte Satz 1 von Ziff. 1 der Schlussbestimmungen genügt. Was im Satz 2 ausgeführt wird, wäre in diesem Fall überflüssig gewesen.
Nach Auffassung der Kammer ist in der Konstellation, in welcher bei der Frage des Widerrufs die Mischrechnungspraxis zur Anwendung kommen soll, keine Gesamtstrafe auszusprechen. Vielmehr ist entweder
• eine unbedingte Geld- (oder Freiheits-)strafe für die neuen Delikte mit Nichtwiderruf der Widerrufsstrafe allenfalls mit Verlängerung der Probezeit einer Verwarnung auszusprechen oder
• es ist eine bedingte Geld- (oder Freiheits-)strafe für die neuen Delikte mit Widerruf der Widerrufsstrafe allenfalls mit Konvertierung der alten Strafart in eine neue Strafart auszusprechen.
6.5. In casu
Altrechtlich wurde bei der Mischrechnungspraxis in der Regel die kürzere Strafe dem Vollzug zugeführt. Vorliegend müsste man damit nach altrechtlicher Praxis die Widerrufsstrafe widerrufen und die Strafe für das Probezeitdelikt bedingt aussprechen. Nach neuem Recht besteht nach Ziff. 1 der Schlussbestimmungen des StGB zudem wie oben erwähnt beim Widerruf die Möglichkeit der Umwandlung der Strafart, d.h. die 10 Tage Gefängnis könnten in eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen à Fr. 90.00 umgewandelt werden. Der Angeschuldigten hat jedoch wegen SVG-Widerhandlungen bereits im Jahr 2003 eine Busse von Fr. 1'200.00 und im Jahr 2005 ebenfalls eine Busse von Fr. 1'400.00 bezahlen müssen. Diese Bussen haben offensichtlich keine Warnwirkung auf den Angeschuldigten ausgeübt. Es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass der Widerruf der 10-tägigen Gefängnisstrafe mit Umwandlung in eine unbedingte Geldstrafe von Fr. 900.00 - notabene ein geringerer Betrag, als der Angeschuldigte bereits zweimal hat bezahlen müssen eine solche Wirkung haben könnte. Damit stellt sich die Frage, ob der Widerruf der 10-tägigen Gefängnisstrafe als Schockund Warnwirkung ausreichen wird, um ihm für das Probezeitdelikt eine günstige Prognose stellen zu können. Dies ist zu bejahen. Der Vollzug der kurzen Gefängnisstrafe ist auf den nebst den SVG-Widerhandlungen unbescholtenen Angeschuldigten eine einschneidende Massnahme, welche die nötige Wirkung haben dürfte. Im Weiteren würde der Nichtwiderruf und damit die unbedingt auszusprechende Geldstrafe für die neuen Delikte eine unverhältnismässige Strafe für den Angeschuldigten bedeuten, müsste er doch Fr. 15'210.00 bezahlen.
Damit ist der K. mit Urteil der Untersuchungsrichterin 2 des Untersuchungsrichteramtes IV Berner Oberland vom 20. April 2005 für eine Strafe von 10 Tagen Gefängnis gewährte bedingte Strafvollzug zu widerrufen, womit dem Angeschuldigten für die Probezeitdelikte eine nicht ungünstige Prognose gestellt werden kann.
Noch nicht beantwortet ist damit aber die Frage, ob für die Probezeitdelikte eine vollständig bedingte Strafe auszusprechen ist aber eine teilbedingte Strafe ausgesprochen werden soll. Gemäss Art. 43 Abs. 1 StGB kann das Gericht den Vollzug u.a. einer Geldstrafe auch nur teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen. Der Gesetzgeber verknüpft auf diese Weise den spezialpräventiven, zukunftsgerichteten Grundcharakter der teilbedingten Strafe mit vergeltenden und generalpräventiven Zielsetzungen (Greiner, a.a.O., S. 115 f.). Die geforderte besondere Berücksichtigung des Verschuldens sei eine rückwärtsgerichtete, tatbezogene Betrachtungsweise, die Elemente wie Schwere der Verletzung der Gefährdung des betroffenen Rechtsgutes, die Beweggründe und Ziele des Täters die Verwerflichkeit des Handelns erfasse. Es gehe darum zu prüfen, ob auf dem Hintergrund des bereits festgestellten Verschuldens nicht eine teilweise Korrektur bei der Art des Strafvollzugs erforderlich sei.
K. hat in derselben Nacht, bzw. in der Nacht und am darauf folgenden Morgen sein Auto in massiv angetrunkenen Zustand gelenkt, das zweite Mal notabene nach der Anhaltung durch die Polizei und Entzug des Führerausweises. Der Angeschuldigte zeigte sich weder bei der ersten noch bei der zweiten polizeilichen Anhaltung einsichtig, hat er doch beide Male die Blutund Urinprobe verweigert und bei der ersten Anhaltung zudem die Polizisten beschimpft und tätlich angegriffen, was zu einem Pfeffersprayeinsatz seitens der Polizei führte. Die Kammer ist der Ansicht, dass diesem Verhalten durch das Aussprechen einer lediglich teilbedingten Geldstrafe Rechnung zu tragen ist. Dabei erachtet sie es als ausreichend, 69 Tagessätze unbedingt und damit 100 Tagessätze bedingt auszusprechen. Die Probezeit für den bedingt ausgesprochenen Teil wird auf drei Jahre festgesetzt.
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